Wer in dieser ganzen Kompetenzwende der Didaktik nicht gefragt wird, sind die Praktiker in den Schulzimmern. Das ESP wurde den Schulen wie manch andere Reform top-down aufgezwungen. Entsprechend sieht die bisherige Bilanz aus. Die Primarschulen im Kanton Zürich haben sich schon gewehrt und konnten ein ESP-Obligatorium mit dem Hinweis auf ihre Arbeitsbelastung abwenden. Die Genfer Gymnasiallehrer haben eine Petition lanciert, die Freiwilligkeit in Bezug auf das ESP verlangt,1  und die Fortbildungen für ESP-Verantwortliche in Zürich hatten mit ständig schwindenden Teilnehmerzahlen zu kämpfen, bis eine der Coaches das Handtuch warf. Die Veranstaltungen waren obligatorisch, wurden jedoch von vielen geschwänzt.

Wir sollten Studien wie EVAMAR II, die Klieme-Studie oder die Ausführungen von Professor Oelkers durchaus zur Kenntnis nehmen. Wir sollten aber auch genau hinschauen, was uns im Namen einer fragwürdigen statistikbasierten Bildungsforschung als alternativlos aufgedrängt wird. Es darf keinen Automatismus geben, der solche wissenschaftliche Forschung direkt zum Diktat der Bildungsdirektionen macht und Forschung, Legislative und Exekutive kurzschliesst. Forschung kann beratende Funktion haben und den Diskurs anregen. Mehr nicht. Sonst haben wir ein Kastensystem, in der die Didaktik-Brahmanen den Bildungsbürokraten den Kurs vorgeben. Unter solchen Umständen kann nur schwer verhindert werden, dass kapitalkräftige Player den Brahmanen grosszügige Opfer bringen, um ihren Segen zu erhalten.

Trotz des in einigen Kantonen angenommenen HARMOS-Konkordats bleibt die  schweizerische Schulpolitik föderalistisch. Es geht nicht an, dass die EDK, die keinerlei demokratisches Mandat hierzu hat, Kantonen und Gemeinden mit Volldampf eine Kompetenzorientierung unserer Bildungsinstitutionen aufzwingt, wie dies die umfangreichen Broschüren hierzu auf der EDK-Website unmissverständlich propagieren.2  Die Kompetenzwende ist mit dem Lehrplan 21 nun endgültig vollzogen. Wie unaufrichtig von der EDK dabei argumentiert wird, zeigt sich an der Standardantwort, die man erhält, wenn man sie mit dem Vorwurf konfrontiert, dass die Lehrer nicht mehr gefragt werden: Es sässen ja Lehrervertreter in PGYM, XYZ, AAAARGH oder wie auch immer die unzähligen Alphabetsuppenkommissionen, die täglich mehr werden, heissen. Dass diese Lehrervertreter oft handverlesen sind, zeigt das Verfahren zur Bestellung der Lehrervertreter in der Kommission "Schnittstelle Lehrplan 21/Gymnasium": Man durfte sich bewerben. Keiner dieser Lehrervertreter hat ein offizielles Mandat der Lehrerschaft, die er vertreten soll.  

Stricken wir nicht an solchen Feigenblättern mit, und fordern wir völlige Freiwilligkeit in Bezug auf diese unausgegorenen Reformen. Als Angebot nehmen wir das ESP und dergleichen gerne zur Kenntnis, als Zwang werden wir sie verweigern oder unterlaufen, bis sie versanden.

René Machu, Wettingen, ist Gründungsmitglied des Forums Allgemeinbildung Schweiz (fach), das sich kritisch mit den gegenwärtigen Entwicklungen am Gymnasium auseinandersetzt. www.forum-allgemeinbildung.ch


1) Derzeit nicht im Netz verfügbar; schreiben Sie mir, und ich sende Ihnen die Petition zu: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

2) http://www.edk.ch/dyn/11673.php