mit EU-Anschluss an Parlament und Volk vorbei
Aebersold Peter
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Im Dezember 2015 wurde in den Medien erstmals über den linken Widerstand gegen den Lehrplan 21 berichtet. Bisher behaupteten sie immer, der Widerstand würde lediglich von „rechtskonservativen“, „ewiggestrigen“ Kreisen kommen. Dabei gab es schon lange und immer wieder linke Stimmen, wie diejenige von Hans Zbinden, langjährigem SP-Nationalrat und Vater des Bildungsartikels von 2006 in der Bundesverfassung.
Lob der OECD für das demokratische Bildungswesen der Schweiz
Bis vor 25 Jahren galt das Schweizer Bildungswesen als Vorbild für sehr viele Länder weltweit. Laut Zbinden erhielt die Schweiz „noch im ersten Länderbericht der OECD von 1990 grosses Lob für die ausgeprägte demokratisch-parlamentarische Einbettung des Bildungswesens, für dessen Bürgernähe und seine damit verbundene grosse gesellschaftspolitische Legitimität“. Der hohe Schweizer Lebensstandard ist vor allem dem hohen Bildungs- und Ausbildungsniveau der Bevölkerung, das in Volksschule und dualem Bildungssystem erworben wurde, zu verdanken. Der Klassenunterricht in der Volksschule durch didaktisch und pädagogisch erfahrene Lehrpersonen war lange Zeit ein Schweizer Erfolgsmodell. Er garantierte die für die direkte Demokratie unabdingbare Chancengleichheit bei der Bildung. Die notwendigen theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten wurden in humanwissenschaftlicher und bildungsphilosophisch fundierter und praxisnaher Lehrerausbildung in Lehrerseminaren vermittelt.
Heimliche Anpassung des schweizerischen Bildungswesens an die EU
Schon im Mai 2009 wies Zbinden auf den „lautlosen Gang des schweizerischen Bildungswesens nach Europa hin“ und damit auf die ausländischen Drahtzieher der ständigen Reformen, die auf den radikalen Totalumbau der Volksschule mit dem Lehrplan 21 ausgerichtet waren. Für die Volksschule ist ein Systemwechsel ähnlich der Bologna-Reform beim Hochschulsystem geplant, den Zbinden als „Bruch mit der Tradition der europäischen Hochschulbildung“ und als „weltanschaulicher Wertewandel bzw. grundlegenden Paradigmenwechsel weg von traditionellen humanistischen Bildungszielen hin zu einer utilitaristischen Instrumentalität“ (Diktat von Wirtschaftsinteressen) charakterisierte.
Zbinden kritisierte, dass in der Schweiz die europäischen Reformen immer mehr an Parlamenten und der Öffentlichkeit vorbei nachvollzogen würden. 1990 habe die «Liaison» zwischen der Schweiz und der Wirtschaftsorganisation OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) angefangen und sich mit immer stärkerer Anpassung an die internationalen Vorgaben fortgesetzt: Standards (PISA, TIMSS), Praktiken, Regelungen und auch Politiken seien zunehmend auch für Schweizer Schulen massgebend geworden.
Diese Stellungnahme Zbindens lässt keinen Zweifel daran, dass die Agenda der Schweizer Bildungsentwicklung der letzten 15 Jahre wesentlich den «Taktgeberinnen» OECD und EU zu verdanken ist. Die Standardisierung der Unterrichtsführung und die Outputtests zum Vergleich von Schulleistungen dienen als Grundlage für die Top-down-Steuerung der Schulentwicklung durch die Bildungsverwaltung. Das ist auch der Grund für die Ausarbeitung des Kompetenzenmonsters im Lehrplan 21.
Die globalisierte Wirtschaft steuert Schweizer Volksschulreformen
Die OECD die eigentlich von den USA diktiert wird, hat über die Pisa-Strategie grundlegende Volksschulreformen angestossen. Hier geht es um eine Gleichschaltung und Steuerung der Bildung von aussen im Dienste einer globalen Wirtschaft, mit dem Ziel die zur Privatisierung geeigneten lukrativen Rosinen des öffentlichen Schulwesen ausfindig zu machen sowie die gleiche Schulsoftware, standardisierte Lehrmittel usw. weltweit vermarkten zu können.
Die frühere Bürgernähe und demokratisch-parlamentarische Legitimation der Schule ist infolge des Drucks der internationalen Organisationen heute nicht mehr vorhanden. Deshalb weiss die Bevölkerung heute kaum noch etwas Genaueres über die Weichenstellungen in der Schule der letzten zwei Jahrzehnte. Vielmehr definiert und entscheidet eine professionelle Expertokratie: eine kleine Clique hoher Bildungsverwaltungsmitglieder und deren Berater mit Verbindungen in allerlei nationale und internationale Steuerungsgremien (ausländische Stiftungen globaler Konzerne wie Bertelsmann, Jacobs, Mercator usw.) bestimmt eigenmächtig, wie die Schweizer „Schulentwicklung“ auszusehen hat.
Inländische Drahtzieher steuern an Parlament und Volk vorbei
Die inländischen Drahtzieher sind vor allem in den Exekutiven und deren aufgeblähten Verwaltungen und teuren externen Berater zu suchen, die mit nicht demokratisch legitimierten Parallelorganisationen (EDK, Städteinitiative, Metropolitanregionen usw.) Druck auf die öffentliche Meinung machen und gleichzeitig versuchen, demokratisch legitimierte Institutionen wie die Schulaufsicht zu beseitigen und damit die Verankerung der Schule in der Bevölkerung aufzulösen. Kürzlich hat ihnen allerdings der Zürcher Kantonsrat einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem er die Abschaffung der Schulpflege aus dem neuen Gemeindegesetz gekippt hat.
Lehrplan 21 legt die Axt an unser erfolgreiches Schulsystem
Für Zbinden ist jeder Lehrplan politisch, die Frage sei nur, ob man es offen zugebe oder nicht. Für ihn hat der Lehrplan 21 die Grundidee der Bildungsverfassung nicht erfasst. Der Lehrplan hätte den Kantonen lediglich einen Rahmen liefern sollen. Die EDK habe jedoch den Top-Down-Ansatz gewählt und Werte vorgegeben.
Tatsächlich wurden die „Grundlagen für den Lehrplan 21“ seit 2006 von einem kleinen Expertokratenzirkel im Geheimen festgelegt und 2010 von der D-EDK abgesegnet. Die EDK beansprucht die alleinige Deutungsmacht für „guten Unterricht“, was die faktische Abschaffung der freien Methodenwahl bedeutet. In den „Grundlagen“ wird das „selbstgesteuerte Lernen“ (eine krude, unwissenschaftliche Mischung von gescheiterten Reformutopien aus dem letzten Jahrhundert: Antipädagogik, Antiautoritäre Erziehung, Konstruktivismus) und die „Kompetenzorientierung“ des Psychologen Franz E. Weinert als das „moderne“ Bildungssystem vorgegeben. Ab 2011 durften die von der Steuergruppe handverlesenen Mitglieder der Fachbereichteams, die ihnen von der D-EDK diktierten Grundlagen in Tausende von Pseudo-Teilkompetenzen zerhacken. So hat der Berg eine Maus geboren, weil man aus einem Berg Hackfleisch kein Filetstück machen kann, wie es die bisherige effiziente und transparente Notengebung ist. Obwohl hauptsächlich die „Kompetenzorientierung“ kritisiert wird, sind die Folgen des „selbstgesteuerten Lernens“ viel einschneidender und gefährlicher. Beide sind allerdings untrennbar miteinander verknüpft.
Das gefährliche Dogma des „selbstgesteuerten Lernens“
Das Dogma des „selbstgesteuerten konstruktivistischen Lernens“ (SoL = „Schule ohne Lehrer“, „Unterricht ohne zu unterrichten“) in den „Grundlagen für den Lehrplan 21“ der D-EDK verbietet dem Lehrer, seine Hauptaufgaben wahrzunehmen: Er darf sein Wissen nicht weitergeben, nicht mehr unterrichten, nicht erklären, nicht motivieren und nicht erziehen (nach Konstruktivist Peter Fratton). Das ist, wie wenn man den Journalisten das Schreiben verbieten würde, weil man sich nur dann eine eigene Meinung „konstruieren“ könne. Das könnte das Ende des Lehrerberufs bedeuten. Den Job als „Lernbegleiter“, der „Lernumgebungen“ bereit stellt, in dem er Arbeitsblätter von Bertelsmann & Co. vom Internet herunterlädt und an die Schüler verteilt, können auch gratis arbeitende Senioren oder Zivildienstleistende machen.
Ein solch gefährliches und teures, sozialpsychologisches Grossexperiment mit unseren Schulkindern darf das Volk nicht zulassen. Wegen der jahrelangen Geheimniskrämerei, der top-down-Strategie der D-EDK am Volk vorbei und der Verhinderung einer demokratischen und transparenten Diskussion hagelt es nun Kritik von rechts und links, der Unmut der Bürger wächst zum Sturm. Mit kantonalen Volksinitiativen gegen den Lehrplan 21 muss der Verfall unseres Bildungssystems unbedingt gestoppt werden.
Quellen:
«Stiller Partner Schweiz» Lautloser Gang des schweizerischen Bildungswesens nach Europa, vpod-bildungspolitik 159/2009
„Streitpunkt: Der Lehrplan 21“, Solothurner Zeitung vom 6.11.2015